Dieses Projekt sei ein »Eisbrecher«, und das, was Christian Riemenschneider hier mit hohem Standard geleistet habe, habe »Vorbildcharakter.« So kommentierte Einbecks Museumsleiter Marco Heckhoff unter viel Beifall die Arbeit des Historikers, deren Einbecker Teil in der Neuerscheinung nachzulesen ist »’Gedenke deiner Freundin Grete’, Provenienzforschung am Beispiel jüdischer und freimaurerischer Objekte im StadtMuseum Einbeck« (Isensee Verlag, ISBN 978-3-7308-1982-1). Jetzt stellte Dr. Riemenschneider seine mehrjährige Arbeit in einem Vortrag des Einbecker Geschichtsvereins in den Räumen der Loge »Georg zu den drei Säulen« vor, die zu diesem Projekt in besonderem Bezug steht.
Bei der Einbecker Herkunftsforschung ergab sich nämlich, dass in der NS-Zeit 1936 und 1939 mindestens 29 Gegenstände der Loge und des Johannisstifts – das hiesige Altenheim für Freimaurer – vom Museum erworben wurden. Den Kontext und die Geschichte dahinter konnte der Historiker detailliert erforschen. Er berichtete von der Entwicklung der Loge und des Stifts bis zur NS-Zeit, dann von Umbenennung, Auflösung, Liquidation, dem weiteren wechselvollen Weg von Ritualgegenständen, Möbeln, Akten, Harmonium, Bibliothek, Schenkungen ans Museum und den Rückholungsversuchen und Wiedergutmachungsansprüchen nach 1945. 2019 befanden sich im Museum nur noch zwei Gegenstände der Loge, zwei Bücher aus dem Altenheim, die der Loge inzwischen zurückgegeben wurden.
Doch zunächst erläuterte Dr. Riemenschneider sein Arbeitsfeld. Inzwischen sei der Ethnologe und Historiker eine der »bundesdeutschen Koryphäen« auf diesem Gebiet, stellte Dr. Elke Heege, Vorsitzende des Einbecker Geschichtsvereins, in ihrer Begrüßung fest. Zur Provenienzrecherche gehören das Erforschen der Herkunft von Kulturgütern, von Kunst bis Kochlöffel – denn auch Alltagsgegenstände seien wichtig, die Bedeutung dieser Gegenstände und ihres Werts für Nachkommen sowie der ethisch richtige Umgang damit, zum Beispiel mit einer Haarlocke, die die Einbeckerin Grete Winter ihrer Freundin schenkte. Darauf bezieht sich auch der Buchtitel.
Das Bewusstsein für diese Forschung habe sich seit einer entsprechenden Konferenz 1998 in Washington entwickelt. Von den Erstuntersuchungen 2016 in neun Museen der Region berichtete der gebürtige Edemisser, dann von der Tiefen- und der Quellenforschung in Eingangsbüchern, Dokumenten, am Objekt selbst und natürlich in Archiven. In dieser Zeit habe er etwa 15.000 Objekte gesichtet – natürlich nicht nur in Einbeck – ,365 haben eine fragwürdige Herkunft. Gezielte Suche half ebenso weiter wie »Stöbern«: So fand er im Museum Duderstadt Akten, eingebunden in hebräische Gebetbücher von 1250 – eines der ältesten Objekte dieser Art in Niedersachsen. Und in Alfeld entdeckte er ein Gemälde eines niederländischen Malers aus dem 17. Jahrhundert.
Dann folgten die Fallbeispiele: Der Briefumschlag mit der Locke im Nachlass der Familie Kaiser, die recherchierte Familiengeschichte und die Gespräche mit Enkelin und Urenkelin. Im Zusammenhang mit einem entdeckten jüdischen Siegel ergab sich die Frage, ob das in der Nacht des Synagogenbrands am 9. November 1938 gestohlen wurde. Auch von der versteckten Fahne hinter dem Schornstein im Arbeiter-Theater-Verein »Thalia« berichtete er.
Im kommenden Jahr wird noch ein Dokumentarfilm zur Provenienzforschung folgen. »Man ahnt ja nicht, was hinter einem Objekt stecken kann.« Dr. Heege hob noch einmal den »mühsamen Weg der Recherche dieses komplexen Themas« hervor.
Stellvertretend für den verhinderten Meister vom Stuhl, Georg Dodenhöft, hatte zuvor Marc Hainski die rund 25 Zuhörer zu einem »für die Loge relevanten Thema« begrüßt und darauf hingewiesen, dass die Loge mit 225 Jahren der älteste Verein Einbecks sei.
Nils Köneke, Clemens Braun und Mats Diercks von der Schüler-Firma »Goethe Technik« der Goetheschule nahmen den Vortrag auf – erstmals in der Geschichte des Einbecker Geschichtsvereins, stellte Dr. Heege fest – , sie bearbeiten ihn, und dann wird der Film-Vortrag auf der Website des Einbecker Geschichtsvereins präsentiert. Nach drei Jahren Coronapause freute sich Dr. Heege, erstmals wieder zum Vortrag einladen zu können. Delia Ehrenheim-Schmidt

Buchbesprechung „Gedenke deiner Freundin Grete“
Ein Buch zur »Provenienzforschung am Beispiel jüdischer und freimaurerischer Objekte im StadtMuseum Einbeck« ist jetzt erschienen: »’Gedenke deiner Freundin Grete’« (Isensee Verlag, ISBN 978-3-7308-1982-1). Autor ist der Historiker Dr. Christian Riemenschneider, Herausgeber der Einbecker Museumsleiter Marco Heckhoff. Das Heft ist in der Reihe »Kleine Schriften des Stadtmuseums Einbeck« erschienen.
Der Titel bezieht sich auf eine Haarlocke, ein Foto und eine Widmung auf einem Briefumschlag. Geschrieben hat sie Sophie Grete Winter (1903 bis 1945), deren Vater ein Bekleidungsgeschäft in der Marktstraße 1 (heute Parfümerie) hatte, für ihre Freundin Alma Kaiser, Tochter aus der Eisenwarenhandlung schräg gegenüber. Auch ihren weiteren Lebensweg und den ihrer Familie schildert er. Ihr Sohn konnte nach Palästina flüchten. Die Urenkelin in Berlin und die Enkelin in Tel Aviv waren sehr dankbar für seine Erkenntnisse. Die Haarlocke ist das einzig physische Überbleibsel von Sophie Grete, die mit ihrer Tochter deportiert wurde. Doch die Enkelin meinte: »lassen wir sie vorerst, wo sie ist.«
Dr. Riemenschneider, angestellt beim Landschaftsverband Südniedersachsen, befasst sich seit mehr als sechs Jahren mit Provenienzforschung, mit der Untersuchung, ob Museumsstücke dem Vorbesitzer unrechtmäßig entzogen wurden. Unter seiner Federführung fand bereits 2019 eine entsprechende Tagung in Einbecks Museum statt, in der es um Erstchecks in neun Museen der Region ging, von Clausthal-Zellerfeld bis Alfeld. Damals war Dr. Elke Heege Museums- und Archivleiterin. Sie übernahm nun die Redaktion des Buchs, wofür ihr die Zwei »super dankbar« sind.
Der Fokus in Einbeck lag auf Objekten der Freimaurer, von jüdischen Personen und Arbeitervereinen.
»Wenn Dinge sprechen könn(t)en« lautet ein Kapiteltitel. Mit umfangreichen Recherchen in Stadt-, Kreis- Landesarchiv und Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Aussageprotokollen, Briefen und schriftlichen Aussagen, um nur einige Quellen zu nennen, gelingt es Dr. Riemenschneider hier sehr detailliert, faktenreich und allgemeinverständlich Geschichte und Biographien zum Sprechen und vor allem ins Bewusstsein zu bringen.
Der umfangreichste Abschnitt widmet sich der hiesigen Freimaurerloge, denn 1936 und 1939 seien 29 Gegenstände an das Museum gekommen. Die einzig noch verbliebenen Dinge, zwei Bücher, wurden dieses Jahr zurückgegeben. Der Autor berichtet von der Historie der Loge, Umbenennung, Auflösung, Beschlagnahmung über die Rolle des Landratsamts als Nutznießer bis zur Rückholung sowie Wiedergutmachungsanträgen nach 1945. Die Logen-Akten wanderten übrigens bis nach Moskau und sind heute in Berlin. Umfangreich recherchiert hat der Autor auch zum Johannisstift, dem Altersheim am Hubeweg, »da dies die einzige derartige Institution für Freimaurer in Deutschland war.« Auf sechs Seiten werden die Kurzprovenienzen der vom Museum erworbenen Freimaurerobjekte genannt, die Wege des Logen-/Stiftinventars sowie Näheres zu den Logen-Archivalien.
Auch der »fraglichen Herkunft« des Siegels der jüdischen Gemeinde Einbeck aus der Zeit des Königreichs Westphalen und in diesem Zusammenhang dem Synagogenbrand 1938 sowie Diebstählen in jener Nacht ging er nach, außerdem der Geschichte zweier Bücher sowie des Banners des Arbeiter-Theatervereins Thalia. Dazu befragte er Johanna und Emil Hennecke.
Erläuterungen der Vorgehensweise, ein Fazit – die Rolle des Altenheims bleibe ein Feld für weitere Forschung – und ein Literaturverzeichnis sowie einige Fotos gehören ebenfalls zu den 80 Seiten des sehr lesenswerten Buchs.
Unterstützt wurde die Veröffentlichung durch die Calenberg-Grubenhagensche Landschaft und den Einbecker Geschichtsverein. Das Buch gibt es im StadtMuseum sowie im Buchhandel.
Dieses Thema sei unglaublich wichtig, erklärte Marco Heckhoff. »Schneeballeffekte« würden durch die Forschung und das Netzwerk Provenienzforschung Niedersachsen entstehen, meinte Dr. Riemenschneider, und Heckhoff stimmte ihm zu. Das Bewusstsein und Interesse in der Bevölkerung sei ebenso vorhanden wie ein wachsendes bei Museumsverantwortlichen. »Die Ergebisse tun euch nicht weh. Ihr profitiert davon. Ihr kommt mit Betroffenen ins Gespäch« wolle man der eigenen Zunft sagen. Ein weiteres »Schneeball«-Beispiel: Durch die Forschung in Alfeld entstanden jetzt an der Universität Göttingen neue Forschungsprojekte, unter anderem zum Alfelder Tierhandel. »Gerechter und bewusster Umgang« mit diesen Dingen sei gefragt, so der Autor. Das könne Rückgabe sein, aber auch Ausstellung mit Darstellung der Herkunftsgeschichte.
Weitere Informationen erhalten Interessierte in der ersten Jahreshälfte 2023. Dann soll hier die mit zwei Göttinger Filmemachern gedrehte Dokumentation zur regionalen Provenienzforschung gezeigt werden. Finanziert wurde der Film über den Landschaftsverband und das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste.
Im Moment forscht der Autor in den Museen Moringen, Bad Gandersheim, Fürstenberg und Goslar.
Delia Ehrenheim-Schmidt

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