Neustädter Kirchplatz: Frank Wedekind und Sarah Nöcker berichten zu Bauhistorie und Bestattungen

Der Vortrag »Archäologische Untersuchungen  am Neustädter Kirchplatz«  war kurzfristig vom Einbecker Geschichtsverein angekündigt worden. Doch das Thema interessierte, und so war die Halle des Alten Rathauses, bestuhlt mit 96 Plätzen, sehr gut besucht. Frank Wedekind von der Göttinger Grabungsfirma Streichardt & Wedekind Archäologie (SWA) sowie Sarah Nöcker, Anthropolgin und Archäologin in der Firma – die am folgenden Tag ihre Masterarbeit abgeben musste – referierten. 

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Vortrag: „Geschichtet wie Schwarzwälder Kirsch“

Stadtarchäologe Markus Wehmer. Foto: Ehrenheim-Schmidt

Skelette, Münzen, Keramik, Feuersteine, Hausgrundrisse verschiedener Epochen – Stadtarchäologe Markus Wehmer hatte auch bei seinem zweiten Vortrag im Einbecker Geschichtsverein viel zu berichten. Zurzeit werde überall gebaut, stellte er fest.

Die Chronische Nasenhöhlenentzündung kannte man bereits um 1770: Der Sturm »Friederike« hatte auch auf dem Neustädter Friedhof zu herausgerissenen Baumwurzeln samt zweier Gräber geführt. Eine Untersuchung ergab: Im ersten Grab lag eine Frau, 30 bis 40 Jahre alt mit diesen Nasenproblemen, mit einem auffallend flachen und hohen Hirnschädel. Die genaue Datierung war auch möglich, weil im Grab eine Münze von 1769 aus Hessen-Kassel dabei war. Im zweiten Grab lag das Skelett eines Mannes, klein, robust, etwa 50 bis 60 Jahre alt, mit einer Rippenfraktur sowie Tumor und Abszess im Kiefer – das Publikum in der Teichenwegschule litt hörbar mit. Bei ihm fand sich eine Kupfermünze aus dem Jahr 1772 aus Sachsen-Coburg-Gotha. Durch Kirchenbücher will Wehmer versuchen, die Identität der Zwei, die verwandt sein könnten, zu ermitteln. Beide lagen in der ersten Belegungsreihe des Kirchhofs.

Totenkrone an Marktkirche

Weiter ging die archäologische Reise zur Marktkirche. Direkt an der Außenwand, bei den Fundamenten, fanden sich gleich fünf Bestattungen, davon drei Kinder – ungetauft gestorbene »Traufkinder«: Von dem Trauf-Regenwasser, das hier herunterkam, erhofften sich die Eltern noch ein wenig geweihtes Wasser für die Kinder, damit diese doch in den Himmel kamen – im 14./15. Jahrhundert europaweit üblich. In der Baugrube für das Kunstwerk »Von Null bis unendlich« entdeckte Wehmer Marktplatz-Pflasterschichten, die bis ins 13. Jahrhundert zurückreichen – und erneut ein Kindergrab unmittelbar an der ehemaligen Friedhofsmauer der Marktkirche, das einen grün verfärbten Schädel aufwies. Des Rätsels Lösung: Das sechs- bis achtjährige Mädchen wurde mit einer Totenkrone begraben, aus Drahtgeflecht mit sehr dünnen Perlen kunstvoll zu Blüten und umwickelten Stängeln gebunden, aufgenäht auf eine Haube – ein Brauch der Barockzeit. Die Grünfärbung stammt von den Kupfersalzen des korrodierenden Kopfschmucks.

Küchlers Feuersteine aus 19 Jahren

In Einbecker Dörfern, so berichtete Wehmer weiter, habe Hans-Jürgen Küchler zwischen 1999 und 2018 Feldbegehungen gemacht, über die bereits Ursula Werben berichtete. Diese Funde sollen nun wissenschaftlich untersucht werden, und dann wolle Küchler sie der Stadt schenken. Sehr viele Feuersteine entdeckte dieser aus dem Zeitraum zwischen 5.300 bis 5.000 v. Chr., die Zeit der ersten sesshaften Ackerbauern, erklärte Wehmer, so zum Beispiel in Buensen. Die Steine dienten zumeist als Schneideinsätze von Sicheln, befestigt mit Birkenrindenpech. Ganz begeistert zeigte Wehmer sich auch von einer »unheimlich präzise gearbeiteten« vier Zentimeter langen Pfeilspitze aus Edemissen und jener aus der frühen Bronzezeit, ca. 2100 bis 1800 v. Chr., in Drüber sowie einer dreieckigen aus der noch älteren Epoche der Rössener-Kultur, etwa 4650 bis 4450 v. Chr..

Weinberg II: »Teileingetiefte« Grubenhäuser

Auch von der Arbeit auf einem 1,2 Hektar umfassenden Areal im Bereich des künftigen Wohngebiets Weinberg II erzählte der Archäologe (die Einbecker Morgenpost berichtete bereits teilweise). Ein gutes Drittel der zwei Kubikmeter Scherben aus einer Töpfereiabfallgrube habe man schon untersucht. Es handelt sich um die Überreste von mindestens 200 typischen Kugelbodentöpfen, welche man in der Wüstung Kugenhusen getöpfert hatte. Um Getreidevorrat als Saatgut und Lebensmittel zu lagern, legte man in der Eisenzeit (etwa 600 bis 400 v. Chr.) Vorratsgruben im Boden an, etwa zwischen zwei und drei Kubikmeter groß – Wehmer erklärte gut und ließ die Begeisterung für seine Arbeit spüren. Sein geschultes Auge erklärte auch die Keramik auf Senkrechtaufnahmen: Vorratstopf als Kochtopf, Schüsseln, Reibsteine und gebrannter Lehm von Brotbacköfen. Alles sei nun bei der Restauratorin. Sehr beeindruckte auch die Rekonstruktionszeichnung eines Grubenhauses – eine Bauweise, die zwischen dem 9. und 12. Jahrhundert üblich war. Zwei mal drei Meter oder maximal vier mal fünf Meter groß waren sie »teileingetieft« in den Boden und erleichterten durch die Raumfeuchtigkeit die Webarbeit, dienten aber auch als Arbeitshäuser der Töpfer.

Kolberger Straße: Steinzeit-Hausgrundriss

Pfosten von Häusern, eines nachweislich aus der Steinzeit, die anderen aus der Zeit um 480 v. Chr. (plus/minus 50 Jahre) fanden sich in der Kolberger Straße. Mit regelmäßigen Pfostenspuren, die sich auf einer Grundfläche von 5 mal 12 Metern zeigten, konnte hier ein Grundriss eines der größten eisenzeitlichen Häuser in Südniedersachsen nachgewiesen werden. Hier wies man  Strukturen von verstreut liegenden Einzelgehöften nach, zwischen denen sich wenige Vorrats- und Abfallgruben befanden – keine Dörfer.

Jagdfallen an der Schwammelwitzer Straße:

Ausführlich erläuterte Wehmer auch die Grundrisse, Häuserpfosten und Fallgruben für Wild, sogenannte »Schlitzgruben« in der Schwammelwitzer Straße (die »EM« berichtete): 15 Häuser aus der Zeit um 500 bis 400 v. Chr. sowie drei aus der Rössener-Kultur, d. h. aus der Zeit um 4650 bis 4450 v. Chr. wurden nachgewiesen.

Epochenschichten am Stiftplatz 9

Spannendes auch am Stiftplatz 9, wo das neue Gemeindehaus entstehen soll: Suchschnitte zeigten hier »wirklich wie bei einer Schwarzwälder Kirschtorte« Schicht um Schicht vorangegangene Zeiten: Mutterboden, Lößschicht, Müll des 18. Jahrhunderts, Keramik aus dem 15., Schicht des 14. Jahrhunderts bis zur Sohle, der Eisenzeit. Eine Grube aus dem 17. Jahrhundert förderte bemalte Keramik, Duinger Steinzeug, Tabakpfeifen, den Stiel eines Portweinglases und Reste von Pyrmonter Mineralwasserflaschen – damals in der Apotheke zu kaufen – zutage, außerdem noch einen Goslarer Mariengroschen von 1752.

Von der jüngsten Grabung in der Knochenhauerstraße werde er das nächste Mal berichten, schloss der Archäologe unter viel Beifall seinen anschaulichen Vortrag mit fast 90 Abbildungen. Dr. Elke Heege, Vorsitzende des Geschichtsvereins, dankte ihm, mit den zahlreichen Zuhörern in der Teichenwegschule für den spannenden Vortrag.

Am Dienstag, 18. Juni 2019, wird im Alten Rathaus ab 17 Uhr in einer öffentlichen Veranstaltung Dr. Thomas Kellmann den dritten Band seiner Denkmaltopographie vorstellen. Darauf wiesen Dr. Heege und Dr. Kellmann hin.

Delia Ehrenheim-Schmidt

In einer Abfallgrube des 18. Jahrhunderts im Garten des Gemeindehauseses, Stiftplatz 9, entdeckte Wehmer Reste von Pyrmonter Wasserflaschen (rechts), den Stiel eines Portweinglases (oben) und Keramik. Foto: Stadtarchäologie Einbeck

Vortrag: Feuersteinbergbau in Artern und Römerlager in Hachelbich

Willi Hoppe, zweiter Vorsitzender des Geschichtsvereins (links) und Stadtarchäologe Markus Wehmer begrüßten Dr. Mario Küßner zum vorletzten Saison-Vortrag. Foto: Ehrenheim-Schmidt

Dr. Mario Küßner, den »Freund und lieben Kollegen«, hatte Stadtarchäologe Markus Wehmer zum Vortrag in den Einbecker Geschichtsverein eingeladen. Der Weimarer Archäologe ist Gebietsreferent für Nord-Thüringen – »ein großes Gebiet« beim Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie. Eine rasante archäologische Reise in und rund 20 Kilometer um Einbecks Partnerstadt Artern bot der Referent den Zuhörern in der Aula der Teichenwegschule.

Dass es »der Geschichte egal ist, ob wir sie mögen oder nicht«, dass man aber »mit Geschichte pfleglich« umzugehen habe, machte er zunächst an einem Foto eines Hindenburg-Denkmals deutlich, das in einem Wald liegt. Einst stand es sieben Jahre am Kyffhäuser-Eingang. Die Rote Armee legte es mit einem Panzer um und schaufelte es zu. Beim Bau eines Stasi-Erholungsheims gerieten die Denkmalfüße in ein Haus-Fundament – Kichern im Publikum. Ein Hin und Her nach der Wende mit einem neuen Eigentümer: Nun soll eine Schutzhütte drumherum gebaut werden mit einer erläuternden Hinweistafel.

Mönchsskelett-Funde aus Gräbern des einstigen Klosters und späteren Konservenfabrik St. Wigbert in Göllingen, eine Landwehr-Zollstelle nahe Artern mit einem Geldbörsen-Fund, die Untersuchung der Ichstedter Kirche auf Wallfahrtshistorie und Grenzziehungen bei Schönfeld-Ringleben – die Begeisterung des Referenten für seine umfangreiche Arbeit des »Sicherns, Rettens und Erhaltens« war spürbar – auch wenn das oft schwierig ist, gerade bei Bauarbeiten wie zur Umgehungsstraße bei Schönfeld. Hier fanden sich Strukturen der späten Bronze- und frühen Eisenzeit, die auf Grenzmarkierungen verweisen. »Pit alignment« nennt man dies, »eine perlschnurartig aufgereihte Grubenreihe«.

Hachelbich: Römisches Marschlager

Östlich von Hachelbich im Kyffhäuserkreis, wo sich einst Ost-West-Wege kreuzten, konnte durch unterschiedlichste Archäologieuntersuchungen, von Luftbild bis Ausgrabung, ein römisches Marschlager mutmaßlich aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. lokalisiert werden, fast 700 Meter in der Nord-Süd-Länge und vermutlich 650 Meter in der Breite. Die Lagerfläche hatte cirka 46/47 Hektar – Platz für zwei Legionen. Mit einem Rekonstruktionsfoto aus dem österreichischen Carnuntum veranschaulichte Dr. Küßner die Anordnung der Zelte: Denn unmittelbar vor den Römern kamen die Vermesser, die abmaßen, wo das Zelt des Legaten zu stehen hatte, wo die Kohorten-Zelte und wo die Außengrenze verlaufen sollte, das Ganze mit farbigen Fähnchen markiert. Auch Schuhnägel und zwei dreiflügelige Pfeilspitze aus Eisen wurden entdeckt. Die Verbindung zu Maximinus Thrax und dem Harzhorn sei eine »begründete Hypothese«, erklärte er auf Nachfrage – vielleicht als Reserve-Nachschub für Soldaten, Nachrichten und Proviant. Das römische Militär hatte zwei Nutzungen für die Marschlager: eines für sehr kurze Zeit ohne Ofen und den zweiten Typ mit Ofen. Hier fanden sich acht »Zwiebacköfen« in Gruben, in denen Notrationen für drei Tage gebacken wurde.

Artern: Gräber und Feuersteinabbau

Auch im Arterner Gewerbegebiet »Kyffhäuserhütte« sollte gebaut werden. Zuvor entdeckte die Archäologie Befunde aus der Zeit 2600 bis 2350 v. Chr.: Gräberfelder, teils in Reihen, teils verteilt. Frauen wurden auf die linke Körperseite gelegt, erklärte Dr. Küßner, Männer auf die andere, dazu kamen Beigaben wie Keramik-Amphoren und Kupferspiralschmuck. Auch ein Mann mit einer Streitaxt wurde entdeckt und ein anderer mit einem Axt-Loch im Kopf.

Im Zeitraum 3800 bis 3100 v. Chr. baute man hier Feuerstein ab –  Dr. Küßners Fotos zeigten eine umfangreiche Menge. Er erläuterte detailliert die Entstehung solcher Vorkommen und die Gewinnung. Zunächst wurde Feuerstein an der Oberfläche genutzt, dann erst in Gruben nach weiterem gegraben – mehr als 500 Gruben wurden entdeckt, ebenso Klingenfragmente und Schaufeln aus Rinds-Schulterblättern: Bergbauwerkzeug.

Sömmerda-Leubingen: Fürstengrabhügel

In Leubingen bei Sömmerda gibt es einen Großgrabhügel aus der Frühbronzezeit, 1877 erstmals ausgegraben. Der Hügel, so Dr. Küßner, hatte früher einen Durchmesser von 50 Metern und eine ursprüngliche Höhe von vermutlich 10 Metern, »einer der größten im mitteleuropäischen Raum«. Jetzt sei er noch 6,50 Meter hoch. Ausgrabungen belegen eine Besiedlung der Region, besonders während der Frühbronzezeit. »Da ist Musik drin, da kommt noch mehr«, freut sich der Experte, der von den Bestattungen, den Gold-Grabbeigaben und künftigen Arbeiten berichtete.

Dermsdorf: Großer Bronzezeit-Hausgrundriss

Ein Autobahnzubringer-Bau gab Gelegenheit, einen der größten Gebäudegrundrisse der frühen Bronzezeit zu entdecken: 44 Meter lang, 11 Meter breit zwischen den dachtragenden Pfosten, »ein riesiger Bau mit 400 Quadratmetern Nutzfläche und einer Höhe von 8 bis 8,50 Metern« – ein Versammlungshaus oder ein Platz für rituelle Handlungen, überlegte Dr. Küßner. Auch 98 Beilklingen und zwei Stabdolch-Rohlinge wurden entdeckt. Informationen zu einem just entdeckten Erdwerk bei Udersleben und der Bedeutung eines Hohlwegs beim Kosackenberg nahe Bad Frankenhausen bildeten den Abschluss, aber sicher nicht den letzten Besuch Dr. Küßners. Der Beifall war ihm gewiss für den umfangreichen Einblick und den gekonnten Vortrag. Viele Fragen des interessierten Publikums folgten.

Delia Ehrenheim-Schmidt

Neues aus der Stadtarchäologie

Dr. Martin Ganßmann während der Dokumentation einer 2500 Jahre alten eisenzeitlichen Siedlungsgrube in Holtensen. Foto: Wehmer

Markus Wehmer (Archäologische Denkmalpflege der Stadt Einbeck) wird in einem Vortrag beim Einbecker Geschichtsverein die Grabungsergebnisse und spannenden Funde des Jahres 2018 präsentieren. Zahlreiche kleinere und einige sehr umfangreiche Ausgrabungen wurden in Einbeck und den Ortsteilen seit seinem letzten Vortrag durchgeführt. Die Veranstaltung findet am Montag, 6. Mai, ab 19.30 Uhr in der Aula der Grundschule am Teichenweg statt. Der Eintritt ist frei. Der Einbecker Geschichtsverein freut sich auf zahlreiche Gäste.

Eine kleine Baugrube für das Kunstwerk „Von null bis unendlich“ direkt nördlich der Marktkirche lieferte tiefe Einblicke in die mittelalterlichen Fundschichten Einbecks. Neben zwei spätmittelalterlichen Marktplatzpflasterungen konnten hier auch einige Bestattungen des ehemaligen Friedhofs untersucht werden, darunter ein Mädchen mit einer Totenkrone.

In der Kolberger Straße wurden bei einer Baumaßnahme zahlreiche Grubenbefunde und Hausgrundrisse aus der Jungsteinzeit sowie der vorrömischen Eisenzeit entdeckt. Auch in der Schwammelwitzer Straße wurden Siedlungsplätze aus der mittleren Jungsteinzeit und der Eisenzeit großflächig dokumentiert. Spannend ist der Nachweis von über 20 Schlitzgruben – Jagdfallen aus der Jungsteinzeit.

Eine der umfangreichsten Ausgrabungen fand erneut im künftigen Wohngebiet „Weinberg II“ am nordöstlichen Ortsrand Einbecks statt. Nach den fünf Sondageflächen des Jahres 2017 wurde nun die Gesamtfläche von 1,2 Hektar durch eine Grabungsfirma ausgegraben. Hierbei wurden von der bekannten hochmittelalterlichen Töpfereisiedlung Kugenhusen nur noch die südlichen Randbereiche erfasst. Die 2500 Jahre alte Siedlung der älteren Eisenzeit, von welcher bereits im Vorjahr erste Spuren entdeckt werden konnten, erstreckt sich hingegen über den gesamten Untersuchungsbereich.

In Holtensen wurden beim Bau von Einfamilienhäusern mehrfach Siedlungspuren aus der Eisenzeit angetroffen. Auch aus Kohnsen, Buensen, Drüber, Edemissen und Dassensen gibt es neue archäologische Erkenntnisse zu vermelden.