Vortrag: Von der Stiftsschule über Ratsschule, Bürgerschule bis zum Gymnasium

Die Diskussion um den Standort der Goetheschule war vor einem halben Jahr Anlass für den Einbecker Geschichtsverein, einen entsprechenden Schulvortrag zu planen. Über den »langen Weg bis zur Goetheschule Einbeck« hielt nun die Vereinsvorsitzende Dr. Elke Heege einen Vortrag – natürlich in der Schule selbst, vor vollbesetzten Stuhlreihen in der Aula. Ein Zitat von Seneca, das sich erst später änderte, stellte sie – mit einem Fragezeichen – dem Vortragstitel voran: Mit dem Satz »Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen« hatte dieser zuviel Gelehrsamkeit an den Philosophenschulen kritisiert. Wohl erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts habe sich dieser Satz umgekehrt, in dem Bewusstsein, allen Kindern eine angemessene Schulbildung und praktisches Wissen zu vermitteln.

Bereits 1324 erhielt das Stift St. Alexandri das Privileg, die »einzige Schule« in Einbeck zu sein. Begründung: Der »schöne Chorgesang« sollte nicht zur Konkurrenz abwandern. Zur Schule gehörten ein Scholaster, ein Kantor und ein Rector sowie für die Jüngeren ein Kindermeister. Vermittelt wurde klassische Bildung, vorzugsweise in lateinischer Sprache. Ziel war, Stiftsherren und Priester heranzubilden. Das war verbunden mit einem festen Einkommen. Die Einbecker studierten in Erfurt, und manch einer hinterließ Geld für den Schulbesuch armer Schüler in seiner Heimatstadt. 

Mit der Reformation änderte sich einiges: Der Rat der Stadt verhandelte mit der Stadt über eine städtische protestantische Schule, die dann nahe der Neustädter Kirche gebaut wurde. Luther selbst schickte dafür Lehrer. Es sei nicht ein vollständiger Gegenentwurf zur Ratsschule gewesen, denn auch hier spielten Sprachen und Religion ebenfalls eine entscheidende Rolle, erläuterte Dr. Heege. Die Beschäftigten waren nur der Stadt unterstellt und wurden schlecht entlohnt. So war die Fluktuation hoch. Und die Schüler, natürlich nur Jungen, mussten Schulgeld zahlen. 1540 brannte mit der Stadt auch die neue Schule ab. Anderes war wichtiger. So beschloss die Stadt erst 1572 einen Wiederaufbau der Schule und zwar aus Abbruchsteinen des Hospitals St. Gertrudis vor dem Benser Tor. Aus dem Hospital-Vermögen wurde auch die Schule gefördert. Nun war »sittliches Betragen« wichtig und das Einhalten der Schulordnung.

Im November 1611, morgens um 6 Uhr weihte man, im Beisein städtischer Prominenz, die neue Ratsschule am Neustädter Kirchplatz ein. Das Portal steht heute am Brauhaus-Gebäude. Dr. Heege erläuterte auch die Inschriften, die dort in lateinischer Sprache zu finden sind: »Diese Schule hat die Fürsorge des Rates der Heiligen Dreieinigkeit geweiht, damit die Jugend der Vaterstadt in treuer Gesinnung die Sprachen, die Frömmigkeit und die Wissenschaften erlernt. Gib Erfolg, Vater, und gib du, Christus, den Lehrern deinen Beistand, und stärke, Heiliger Geist, die junge Schar, damit so überall dein Ruhm wächst.« Die Festrede wurde natürlich in Latein gehalten.

Sieben Klassen hatte die Ratsschule, ab der achten wurde Latein unterrichtet, ab der neunten Griechisch. Vortragskunst, das Neue Testament und die Klassiker waren Lehrstoff. Bei vier Lehrern dürfte die Klassengröße erheblich gewesen sein. Doch auch 1656 waren Schüler ähnlich denen von heute und hatten »Knepe« im Kopf. Das zeigte sie mit den Kritzeleien aus dem Schreibheft eines Schülers (Nikolaus Hallensen). 

Erst im 18. Jahrhundert schickte man auch Töchter zur Schule.1754 habe man eine Lehrerin gesucht für 130 Mädchen, von denen ein Viertel im Kindergartenalter war. Die Bezahlung war so miserabel, dass ein Mädchenlehrer sich 1768 mit Tabakhandel befasste. 

Um 1780 sei das Gedränge in der Stiftsschule bei den Jungen so groß gewesen, dass die Schüler teilweise doppelt auf den Bänken und auch an der Erde saßen, »Einbecker Schulwesen-Verfall« beklagten die Pastoren in einer Petition an die Schul-Commission in Hannover. Die Klage bezog sich auf die Bürgerschulen, die unteren Jahrgänge der Ratsschule und die Knabenschule des Stifts St. Alexandri. Drei Mädchenschulen sowie die Waisenhausschulen wurden dazu gerechnet. 

Ursache für nichtvorhandene Disziplin sei  die fehlende Autorität der Lehrer, die teilweise ehemalige Domestiken seien und für geringes Geld arbeiteten. Eine Einsicht in die Notwendigkeit von Bildung bestünde in Einbeck nicht. Und eine weitere Ablenkung sei das »Hinsingen« bei den mehr als 100 Beerdigungen jährlich. Hier waren die Kinder verpflichtet zu singen, was mehrere Stunden dauerte. Über mehrere Jahrhunderte wurden Schüler für den Gottesdienst-Gesang ausgebildet.

1824 entzog man der Stadt die Oberaufsicht über die städtischen Schulen. In den 1820er Jahren engagierte man Hilfslehrer. Die Bezahlung verbesserte sich durch das Legat eines zu Vermögen gekommenen Einbeckers. 1826 brannte in der Neustadt auch die Ratsschule ab. Aufbruchsstimmung 1848: Bürgermeister Wilhelm Claus von Unger forderte in Hannover den Neubau einer Volksschule. 1850 war Einweihung auf dem Möncheplatz. »Diese nahm die Schüler aller allgemeinbildenden Schulen in Einbeck auf.« Nun war eine angemessene, auch praxisorientierte Schulbildung für alle möglich. Doch nach 1866 wurde diskutiert über das Für und Wider einer lateinlosen Bürgerschule sowie eines Gymnasiums der antiken Sprachen. 1868 folgte die Höhere Bürgerschule, 1874 das Realprogymnasium am Hullerser Tor. »1880 erhielt die Schule die Berechtigung des ‘einjährig-freiwilligen Abschlusses’ nach der 10. Klasse, der zum Militärdienst in einem frei zu wählenden Truppenteil und zum Aufstieg in die Offizierslaufbahn berechtigte.« Mit Fotos von Klassen, Schülerverein und -capelle veranschaulichte Dr. Heege ihren Vortrag. 

Erst 1904 fanden erstmals in Einbeck Abiturprüfungen statt. Die Bemühungen um die gymnasiale Oberstufe ab 1901 hatte 25 Jahre gedauert.

Nach Entwürfen des Architekten Hubert Stier folgte 1906/07 der Bau des »Schulpalasts« (Schulcommission-Vertreter) an der Schützenstraße. Die Baugeschichte hat Dr. Susanne Mosler zum Schuljubiläum recherchiert. Auch die Seminarübungsschule und die Präparandenanstalt wurden gebaut. 

Der Erste Weltkrieg folgte mit neuer Schulordnung: Verbot von »Schundlektüre«, des Besuchs von Wirtshäusern und archäologischen Grabungen sowie Schulausfall wegen Erntehilfe und Kälte. Ab 1922 wurden auch Dinge wie Naturbeobachtung und Privatlektüre eingeführt. Erstmals wurden Mädchen aufgenommen – natürlich getrennt in den Räumen der Seminarschule. In den 1920er Jahren machte das erste Einbecker Mädchen Abitur. 

Auch von den Jahren 1933 bis 1945 berichtete sie, vom NS-Lehrerbund, Parteizugehörigkeit, der NS-Schulverwaltung, der Schul-Rundfunkanlage zum Anhören von Parteireden und zur Einmischung der HJ in Schulangelegenheiten sowie Verkürzung der gymnasialen Schulzeit auf acht Jahre. 1932 habe der letzte Schüler mit jüdischen Wurzeln, Heinz-Rudolf Stern, Abitur gemacht. Die Abiturzulassung musste vom Schüler umfangreich beantragt werden. Christine Meineke hatte dazu Dr. Heege Unterlagen ihres Vaters (Abitur 1933) zur Verfügung gestellt. 

1943 wurde die Schule zum Reservelazarett, ab November 1944 fiel der Unterricht teilweise, ab Januar 1945 ganz aus. Regulär ging es am 15. Oktober 1945 weiter. Für zwei Jahre musste die Schule an den Möncheplatz umziehen. Am 10. Mai 1949 erhielt das Gymnasium den Namen Goetheschule.  

Abschließend erklärte Dr. Heege: »Was den Geist einer Schule ausmacht, erschließt sich auch in einem historischen Gebäude nicht durch die äußere Form, sondern durch die Unterrichtsstandards, die Bereitschaft zur Innovation und das Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden«, und sie ergänzte: »Ich als Historikerin bin froh, dass der Rat der Stadt und der Landkreis sich entschieden haben, die Schule an diesem Standort zu belassen und mit allem, was für einen guten Unterricht heute notwendig ist, auszustatten.« 

Sehr großer Applaus folgte für diesen sorgfältig recherchierten und hervorragend vorgetragenen Vortrag, und manch Zuschauer äußerte die Hoffnung, dies im Jahrbuch nachlesen zu können. Im Namen des Geschichtsvereins hatte ihr zuvor Marc Hainski, zweiter Vorsitzender, mit einem Strauß zum Geburtstag gratuliert. 

Der Dank des Geschichtsvereins ging an die Schulleitung, dass man in der Schule zu Gast sein durfte.

Delia Ehrenheim-Schmidt

Marc Hainski, stellvertretender Vorsitzender, dankte im Namen des Geschichtsvereins Dr. Elke Heege mit einem Blumenstrauß. Foto: Ehrenheim-Schmidt
Ein Aquarell des Gotheschul-Entwurfs.